ich hoffe, Ihr erlaubt mir, auf diesem Wege ein paar Worte an Euch zu richten. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht nur mit einer ehemaligen afrikanischen Studentin verheiratet bin (meine Frau und ich haben uns an der Uni kennengelernt), sondern dass ich auch nicht wenige von Euch ein Stück Eures Weges begleitet habe. Auf Basis meiner in mehr als 15 Jahren gewonnen Einsichten möchte ich Euch ein paar Dinge mit auf den Weg geben.
Nun zu Euch: Im Grunde genommen besteht Ihr aus zwei vollkommen unterschiedlichen Gruppen, die (abgesehen von Euren äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe) kaum etwas miteinander gemein haben, nämlich den Studierenden, die in Afrika die Schule abgeschlossen haben und als „ausländische Studierende“ nach Deutschland gekommen sind, und denjenigen von Euch, die hier geboren oder zumindest aufgewachsen sind.
- Zunächst möchte ich Euch Studierenden aus der ersten Gruppe sagen, dass ich Euch bewundere. Ihr studiert in einer für Euch fremden Sprache, die nicht einfach zu erlernen ist, und müsst größtenteils für Euren Lebensunterhalt selbst aufkommen. Zudem müsst Ihr Euch an eine vollkommen andere Gesellschaft und Kultur gewöhnen. Leider schließt dies auch in manchen Fällen Rassismus ein. Natürlich lehnen die meisten Deutschen Rassismus ab, aber selbst ein einziger rassistischer Vorfall ist immer noch einer zu viel. Die Tatsache, dass die allermeisten von Euch trotz dieser widrigen Umstände erfolgreich ihr Studium abschließen, nötigt mir den höchsten Respekt ab.
- Nun zu Euch Studierenden mit einem oder zwei afrikanischen Elternteilen, die in Deutschland geboren oder zumindest aufgewachsen sind: Leider muss ich nach den vielen Jahren, in denen ich mit Euch zu tun hatte, feststellen, dass Euer Bildungserfolg anders als bei den Studierenden aus der ersten Gruppe weit unterdurchschnittlich ist. Auch, wenn es unter Euch auch ermutigende Beispiele gibt, bleibt doch der Durchschnitt von Euch katastrophal weit unter seinen Möglichkeiten. Ich habe unzählige Male gesehen, dass viele von Euch trotz vorhandener geistiger Fähigkeiten jahrelang nur jobben, bis Euch überhaupt der Gedanke kommt, dass eine Ausbildung vielleicht doch sinnvoll wäre. Andere studieren bis in die Puppen oder brechen am Ende ihr Studium ab. Ein Wort vorab: Bitte seid so ehrlich und schiebt dies nicht auf unser System. Anders als in vielen Ländern der Welt ist bei uns der Besuch der Hochschule, sofern es sich um eine staatliche Hochschule handelt, fast kostenlos, und der Hochschulzugang wird allein aufgrund der Hochschulzugangsberechtigung gewährt. Wir haben hier in Deutschland viele Privilegien und Möglichkeiten, die per Gesetz jedem, der oder die sich hier legal aufhält, unabhängig von Herkunft und Aussehen offenstehen. Ich denke aber, dass sich viele von Euch selbst im Wege stehen und Ihr diese Möglichkeiten nur unzureichend nutzt. Einige Beispiele:
- Ist es unbedingt notwendig, 15-20 Stunden pro Woche neben dem Studium zu arbeiten, um immer das neueste iPhone besitzen zu können und 20 Paar Schuhe im Schrank zu haben? Ich verstehe durchaus Euren Frust, wenn Ihr seht, dass Euch Eure Eltern aus der ersten Einwanderergeneration bestimmte Dinge nicht bieten können, die deutsche Mittelschichteltern ihren Kindern vielfach ermöglichen können. Aber wäre es nicht besser, dies als Ansporn zu sehen, im Studium Gas zu geben? Glaubt mir, wenn Ihr Euer erstes richtiges Gehalt bekommt, werden Euch die Beträge, die Ihr durch Kellnern und Co. verdient, lächerlich erscheinen! Und zudem: Die teuren Gadgets, für die Ihr jobben geht, sind doch auch nach kurzer Zeit wieder überholt. Und müsst Ihr Euch im Studium den Stress antun, eine eigene Wohnung oder ein Auto zu finanzieren, obwohl Eure Eltern in der Nähe wohnen und Ihr Anspruch auf ein Semesterticket habt? Tut es nicht auch die U-Bahn und wenn möglich das Wohnen bei Euren Eltern? Spart Euch doch den Stress!
- Müsst Ihr bei jedem Afrocommunity-Event und bei jeder Hochzeit dabei sein? Ich bin selbst gerne bei afrikanischen Hochzeiten, aber ich weiß, dass diese sehr zeitintensiv sind. Ist Euch der oder die entfernte Bekannte wirklich so wichtig, dass Ihr für sie oder ihn ein ganzes Wochenende in der Klausurzeit auf den Kopf hauen müsst und so Euren Klausurerfolg gefährdet? Würde sie oder er dies auch für Euch tun?
- Ich persönlich bin sehr dafür, regelmäßig zur Gemeinde zu gehen. Als ich Student war und noch bei meinen Eltern wohnte, habe ich mich gemeindlich stark engagiert. Die Konsequenz war allerdings, dass ich kaum nebenbei gearbeitet habe. Ein Studium ist im Prinzip ein Vollzeitjob. Studium plus 20 Stunden jobben plus fünf Mal pro Woche in der Gemeinde wird wohl nur in Ausnahmefällen gut gehen, denn gerade die Veranstaltungen in afrikanischen Gemeinden sind sehr zeitintensiv. Ich finde es toll, dass viele von Euch Gott dienen wollen, aber der Dienst für Gott verlangt einem eben auch manchmal Entscheidungen ab. Vielleicht müsst Ihr Euch eben zwischen Gott und dem Geld für Luxusgüter entscheiden. Ihr wisst doch, dass Jesus selbst gesagt hat, dass man nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon dienen kann.
Übrigens: Viele große Diener Gottes waren hochgebildete Menschen: Der Apostel Paulus war Schriftgelehrter, Martin Luther war Professor der Theologie, Jean Calvin war Jurist, John Wesley war Theologe, Derek Prince war Professor für Philosophie etc. Auch die meisten der bekannten afrikanischen Pastoren, die Ihr Euch gerne anhört, scheinen weit überdurchschnittlich gebildet zu sein. Bildung wird Euch in Eurem zukünftigen geistlichen Dienst helfen, weil Ihr durch Bildung die Welt, die Ihr erreichen wollt, besser verstehen werdet. Und noch ein letzter Punkt: Gott hat dem Propheten Daniel und seinen Freunden überragende intellektuelle Fähigkeiten gegeben. Dies kann er auch für Euch tun. Trotzdem werdet Ihr das, was Ihr durch mangelndes Lernen verliert, nicht durch intensives Beten und Fasten zurückerhalten. Gott segnet das, was Ihr in der Hand habt. Lernt also so, wie es notwendig ist, und vertraut dann Gott, dass er Eure Lernanstrengungen (also das, was Ihr in der Hand habt) in der Prüfung segnen wird.
Natürlich sind diese Einsichten stark verallgemeinernd, aber wenn man eine Gruppe, die aus mehr als einem Individuum besteht, als Gruppe ansprechen will, muss man eben verallgemeinern. Ich denke zudem, dass meine Beobachtungen in vielen Fällen zutreffen.
Ich habe Euch diese Zeilen geschrieben, weil ich Euch mag und Euer Potential sehe. Ich würde mich freuen, mehr von Euch an exponierten Stellen der Gesellschaft zu sehen, denn anders als viele Eurer „biodeutschen“ Altersgenossen seid Ihr mit Werten aufgewachsen, die unserer dekadenten, postmodernen Gesellschaft größtenteils verloren gegangen sind, beispielsweise Ehrfurcht vor Gott, Respekt vor älteren Menschen und Familienorientierung. Eigentlich habt Ihr ein großes Potential, diese Gesellschaft wieder zum Positiven zu verändern. Dies geht aber nur, wenn Ihr auf allen Ebenen präsent seid. Die 68er haben unsere Gesellschaft durch ihren „Marsch durch die Institutionen“ komplett umgekrempelt, und zwar aus meiner Sicht vielfach zum Negativen. Ein Umkrempeln der Gesellschaft ist vielleicht zu viel von Euch verlangt, aber Ihr könntet doch zumindest versuchen, an vielen Stellen „Salz und Licht“ zu sein, so wie die Bibel es sagt.
Auf jeden Fall wünsche ich Euch viel Erfolg…nutzt Eure Möglichkeiten!
Herzlichst,
Euer Jan!
Jan Sickinger ist nach seinem abgeschlossenen Studium der Ökologie in Essen mehr als 13 Jahre beruflich im IT-Bereich unterwegs gewesen. Neben dem Beruf hat er zusätzlich ein berufsbegleitendes MBA-Studium absolviert und beendet gerade noch einen berufsbegleitenden Master in Theologie. Seit 2005 ist er Mitglied von House of Solution, einer internationalen (mehrheitlich von Afrikanern besuchten) Gemeinde in Mülheim an der Ruhr, in der er vor allem im Bereich Simultan-Übersetzung aktiv ist. Seine Leidenschaft ist es zudem, Studierenden in dieser Gemeinde und anderswo mit Rat und Tat auf ihrem Weg zu unterstützen und zu sehen, dass sie ihren Bildungsweg mit Erfolg gehen. Seit 2009 ist er mit seiner wunderbaren togolesischen Frau verheiratet.