Das Empfinden und das Dasein mit der Welt teilen

Zum ersten Mal in diesem Jahr konnte die Spoken Word-Künstlerin Lysania im Rahmen ihres Projektes „Erzähl mir im stillen Raum“ die drei interessanten Referentinnen Anna Afolabi, Clarisse Akouala sowie Lydia Soltoca für ihr Projekt gewinnen. Die Veranstaltung fand im Zentrum Essens im Atelierhaus statt. Der Räumlichkeit, in einem eher kalten und sterilen städtischem Umfeld, wurde durch schöne Beleuchtung, leiser Musik und leisem Glöckchengeklingel als Ankündigung der einzelnen Geschichten die Atmosphäre eines New Age Charakters  verliehen. Diese Atmosphäre war sehr angenehm und, die Vorträge authentisch und interessant. Jede Teilnehmerin erzählte eine prägnante 15minütige Geschichte aus ihrem Leben.

Lydia

 

Die erste Erzählerin Lydia mit polnischen Wurzeln trug eine beeindruckende Geschichte aus ihrer Kindheit im Jahre 1984 vor, die durch ihren Lieblingsroman „Die zwei Monddiebe“ geprägt war. Darin geht es um zwei Jungs, die von zuhause weggelaufen sind, mit dem Ziel, den Vollmond zu stehlen, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Die Beiden merken rasch, dass man den Mond nicht stehlen kann und kehren nach Hause zurück. Seitdem sind aus ihnen verantwortungsvollere und hilfsbereite junge Leute geworden. Die Hauptrollen in der späteren Verfilmung als Kindermärchen spielten die Zwillingsbrüder Lech Kaczyński und Jarosław Aleksander Kaczyński. Lech Kaczyński war bis zu seinem Tod am 10. April 2010 Präsident des Landes Polens. Sein Bruder widmete sein Leben ebenfalls der politischen Karriere. Die Geschichte und die Zusammenhänge mit der Jugend der beiden polnischen Politiker sind der westlichen Öffentlichkeit nicht allgemein bekannt. Durch Lydias sehr einfühlsame Schilderung, bei der sie mehrmals stark zu Tränen gerührt war, war es als  Zuhörerin begreiflich, wie sehr die Schicksale von Menschen durch andere Menschen beeinflusst werden. Interessant war es  zu erfahren, dass durch das Märchen „Die zwei Monddiebe“ in Lydias Kindheit die Hilfsbereitschaft zu einem wichtigen Attribut wurde.

 

Clarisse

Die zweite Vortragende Clarisse Akoula erzählte, dass sie sich bereits während  des Workshops intensiv mit ihrer Biographie und ihrer Familiengeschichte auseinander gesetzt hat. Vieles, was in ihrer Familie passiert ist, hat ihr Einfühlungsvermögen dafür gestärkt, wer sie in ihrer Identität tatsächlich ist. Diese Tatsache gibt ihr in allen Lebenslagen Energie und Kraft.Erfahrungsaustausch und Interaktion sind wichtig für die Menschen und die anderen Personen, denen man  gegenüber steht. Nur müssen beide Gesprächspartner sich darauf einlassen können und wollen, ihr jeweiliges Innenleben nach außen zu spiegeln, was auch bedeuten kann, dass es zu emotionalen Irritationen kommen kann. Man kann sowohl sehr positiv angerührt oder /aber auch verstört werden, was an vielen verschiedenen Ursachen liegen kann. Sprich: wenn Dinge, die in der Vergangenheit zu Verletzungen geführt haben, wieder ausgegraben und dadurch in der Gegenwart erneut präsent werden.An dieser Stelle erinnere ich mich an eine Bemerkung von Clarisse (Teilnehmerin des Projektes): „Ich fühlte mich depressiv und habe mir bei einem Psychiater Hilfe gesucht. Dieser erklärte mir, dass ich keine Depressionen hätte, sondern dass die Dinge, die ich bis jetzt immer in mich hineingefressen hätte, einfach heraus müssten. Das habe ich dann getan, und mir geht es nun gut.“

 

Anna und Lysania

Die letzte Teilnehmerin Anna Afolabi , trug eine beeindruckende Geschichte über ihren Identitätskonflikt vor, der sie in ihrem Leben sehr beeinflusst hat. Ihre Eltern stammen aus Nigeria (Westafrika). Sie selbst wurde in Deutschland geboren. Als sie in die Schule kam, wurde ihr allmählich klar, dass sie eine andere Hautfarbe hatte als ihre Mitschüler. In der nigerianischen Gemeinde, wo sie und ihre Eltern Mitglied waren, musste sie sich damals fragen lassen, warum sie die Sprache ihrer Eltern nicht spräche. Nun aber stand die Frage im Raum: „Bin ich Schwarz oder Weiß, und warum muss ich mich überhaupt entscheiden?“.

 

Zum Schluss der Veranstaltung hatten die Gäste die Möglichkeit, sich von den gehörten Geschichten und auch durch die damit zusammenhängenden sehr atmosphärisch, ansprechend und warmherzig dargestellten Collagen inspirieren zu lassen und sich darüber auszutauschen.

In diesem Jahr habe ich jede Menge Veranstaltungen besucht, woran ich unter anderem auch aktiv teilgenommen und sie teilweise mitgestaltet habe. Ich fand Lysanias Veranstaltung interessant, sie war etwas Anderes, etwas Stilles. Diese Stille gehört dazu, seinem Gegenüber aufmerksamer zu begegnen. Leider ist es oftmals in unserer Gesellschaft so, dass wir keine Zeit haben, uns mit dem Hintergrund von anderen Menschen auseinanderzusetzen und sie auch anzuhören, falls sie darüber sprechen. Aber jede Geschichte ist wichtig und besonders. Sie trägt einen wichtigen Teil zum Großen und Ganzen bei. Dies würde eventuell auch zu mehr Verständnis für die „Flüchtlingsdebatte“ führen und somit auch zu mehr Empathie und Verständnis auf allen Seiten.

Noomi

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