Die Krux an den Integrationswahlen

geschrieben von Noomi

In Deutschland besteht die Möglichkeit, alle fünf Jahre folgende kommunale Instanzen zu wählen: Oberbürgermeister und Landräte (diejenigen, die an der Spitze von Städten und Kreisen stehen);Parlamente, die von den jeweiligen Städten gesondert bestimmt werden, in Kreisfreien Städten die Bezirksvertretungen (Parlamente der Stadtviertel); im Ruhrgebiet als Ganzem wird über das Ruhrparlament abgestimmt. Hinzukommen, die Integrationsräte der Städte.

Einige Tage vor den Wahlen hatte ich einer Arbeitskollegin erzählt, dass ich gemeinsam mit dem Dachverband „Deutsch-Afrikanische Gemeinde“ für den Integrationsrat kandidieren wolle. Sie war begeistert und wollte ihre Stimme   abgeben, stellte aber fest, dass es für sie dafür keinen Wahlzettel gab. Ihr Ehemann kam dann darauf, dass es möglicherweise daran läge, dass sie beide Deutsche ohne Migrationshintergrund sind. Mir war es bis dato nicht klar, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund nicht für die Integrationsratswahl abstimmen dürfen, jedoch dürfen sie sich als Kandidat zur Wahl aufstellen lassen. Denn wir sprechen von Integrationsräten, diese sind die Interessenvertretungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die die Stadtregierungen / Stadträte beraten. Für Parteimitglied mit Migrationshintergrund gelten andere Regelungen.

Unter die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ fallen: Menschen, die als Ausländer eingebürgert wurden sowie schon hier geborene Menschen, deren Eltern nicht deutsch sind (faktisch sind das alle bis zur dritten Generation in Deutschland Lebenden). So hatten ich es verstanden, viele andere aus meinem eigenen Umfeld ebenfalls. Jedoch fiel bei mehreren Fällen in Essen auf, das es Wahlberechtigte gab, die zwar alle Kriterien erfüllten, jedoch keinen Wahlzettel für den Integrationsrat erhalten hatten. Auch in den Wahllokalen in Essen gab es auf Anfrage keine konkreten Antworten. Wer ist dafür verantwortlich? Die Mitarbeiter der Wahllokale sind nur ausführende Organe, die für Zuteilung der Wahlberechtigungen fällt, nicht in das Aufgabenfeld der Wahllokale.

Meine Freundin besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, aber Ihre Eltern stammen aus Afghanistan,  haben jedoch ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft. Alle drei haben trotzdem keinen Wahlzettel erhalten. Ich finde, das Interesse darin bestehen sollte, dass sich mehr Menschen mit Migrationshintergrund an den Wahlen zum Integrationsrat beteiligen sollten. Deshalb sollte transparenter gemacht werden, wer genau was genau wählen darf. Zwar ist das Wählen an sich klar definiert, die Interpretationen scheinen aber von den Einzelnen jeweils nach persönlichen Kriterien anders verstanden worden zu sein. Daher ist es nicht Verwunderns Wert, wenn nur die Integrationslisten etablierter Parteien einen Platz im Essener Rat erhalten.

Handelt es sich möglicherweise sogar um Wahlmanipulation? Wenn die Regelungen nicht einheitlich festgelegt sind. Mögliche Erklärung dieser Farce wäre eine Wahlmanipulation (angeblich ja nur eine Spezialität der Russen), um den Beitritt mancher Volksgruppen in den Integrationsrat zu unterbinden. Wirkliche Macht hat ein Integrationsrat sowieso nicht, aber mit seiner Einrichtung kann man ja politisch prima glänzen. Deutschland ist doch die Mutter aller Bürokratien, ein Ort, an dem alles genormt ist, und korrekt festgehalten wird – woran sich dann auch alle halten. Was ist dann bei den Integrationswahlen falsch gelaufen?

Unfassbar! Die Politik dreht halt auch alles so, wie sie es gerne hätte. Was nicht passt wird passend gemacht. Ich werde dazu einen Experten befragen, denn die Wahlkriterien sind selbst mir immer noch nicht vollkommen klar. Vielleicht kann er mir erläutern, warum.

Hier die zitierte Gemeindeordnung:

„Nichtdeutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist:

  • wer eine ausländische Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erhalten hat oder
  • die deutsche Staatsangehörigkeit laut der in der im Bundesgesetzblatt Teil 3, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. August 2013 ( BGB.1 S.3458), erworben hat“

Bei dieser Wahl at es also leider keine parteilose Partei POC- Gruppe in Essen in den Rat geschafft. Ich bin enttäuscht über mangelnde Beteiligung der Wahlberechtigen an den Integrationswahlen in Essen, und den Uneinheitlichen Bestimmungen der Wahlen in den Städten

Was ist meine Identität?

In Deutschland gilt das biologisch-kulturelle Staatsbürgerschafts-Konzept, es meint eine Gruppe von Menschen, welche eine gemeinsame Kultur und Geschichte haben. Bis 2000 galt ius sanguinis, dies bedeutete, das man ein Recht auf eine deutsche Staatsbürgerschaft hat, sofern ein Elternteil deutscher Staatsbürger ist. In Frankreich, USA und Großbritannien dagegen gilt ein andere, nämlich das politische. Die Identifikation geschieht hier durch Teilhabe am demokratischen und liberalen politischen System. Hier gilt auch Lus Soli, was bedeutet, dass die Staatsbürgerschaft dadurch erlangt wird, dass man in dem Land geboren wird, ferner davon, welche Staatsbürgerschaft die Eltern besitzen.

Es gibt offensichtliche, objektive Merkmale, durch die eine kulturelle Identität konstruiert wird, etwa die Sprache, Rasse, Tradition und Staatsbürgerschaft. Wie jedoch liegt der Fall, wenn die kulturelle Identität anders empfunden wird als die der Eltern?

Die  generationenbezogene Perspektive der Familie verstehen sowie den deren Einfluss auf meine eigene Person – wie soll das funktionieren? Im Rahmen meines Studiums habe ich gelernt, dass das Erstellen eines Genogramms Abhilfe verschaffen kann. Ein solches umfasst sehr viel mehr Punkte als ein bloßer Familienstammbaum, denn es wird alles Bedeutsame zueinander in Beziehung gebracht. Hierbei geht es darum, Dinge und Ereignisse seiner eigenen Vergangenheit und Gegenwart und deren Einfluss auf die Persönlichkeit zu verstehen. Das bedeutet nicht nur, Geschehenes lediglich zu akzeptieren und zu verstehen, es bedeutet auch, nicht mehr länger darüber zu schweigen und es nicht mehr stillschweigend hinzunehmen. Lebe ich ein Leben, das ich führen möchte oder leben ich nach einem Muster, das sich bei vielen Menschen und in vielen Leben wiederholt: Schule, Ausbildung, Beruf, Liebesbeziehungen, Eigenheim, Kinder, Tod? Die Suche nach sich selbst, seiner eigenen Identität kann jede Menge Fragen aufwerfen. In der Regel können dadurch neue Erkenntnisse über sich selbst erlangt werden. Die Suche kann für den Suchenden natürlich auch seelischen Schmerz bedeuten. Verwandtschaftliche Beziehungen in Hinblick auf Krankheiten, Verhaltensweisen und berufliche Hintergründe können jedoch auch geklärt werden.

Das eigene Verhalten, durch die Erziehung der Eltern geprägt, kann besser verstanden werden. Diese wurden gegebenenfalls unter völlig anderen soziokulturellen und historischen Bedingungen geprägt, als sie in der Gesellschaft vorherrschen, in der sie gegenwärtig leben (z. B. Deutschland). Ein solches Verständnis der Verhaltensweisen der Eltern zu erlangen kann dazu verhelfen, Aufklärung über seine eigenen inneren Konflikte und Widersprüche zu erlangen oder sie auch zu lösen. Ein Beispiel hierzu: Meine Mutter hat mich immer gezwungen, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, nicht, weil sie mich damit bestrafen wollte, sondern weil sie selbst aus einem Land stammt, in dem die Einwohner mehrheitlich daran glauben, wenn man jeden Tag zu Gott jeden und jeden Sonntag in die Kirche geht, dann „erhält“ man ein erfülltes Leben (durch Gott, durch das Schicksal). Auch über familiäre Tabu Themen, wie beispielsweise Krankheiten, Alkoholismus, häusliche Gewalt etc. Durfte nicht darüber gesprochen werden

Ich musste immer wieder feststellen, dass sich meine kulturelle Identität permanent verändert hat. Die Identität wird durch den Kontext beeinflusst, ob ich es will oder nicht. Das Grundbedürfnis jedes Menschen ist es jedoch, eine Identität zu haben.

Noomi